Marcus Nigsch Interview Nov. 2021
Der Vorarlberger Komponist Marcus Nigsch ist immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten in der Musik.
Zur Eröffnung der Festspiele heuer schufen Sie ein weiteres Orchesterwerk, „In freier Natur, eine Schwärmerei“, mit toller Resonanz beim Publikum. Wie sind Sie mit Ihrer „zeitgenössischen Musik“ so nah am Zuhörer, ohne sich anzubiedern? Die Tonalität allein kann es ja nicht sein?
„Zeitgenössische Musik“ darf sich auch wieder den Menschen zuwenden und weniger „elitär“ sein. Was nur noch für ein paar Experten verständlich ist, wird unweigerlich bedeutungslos werden und sich in der Gesellschaft irgendwann rauskürzen. Ich habe eine klare Vorstellung von meiner Musik, aber: Ich achte auf die Ausführenden und die Energie im Orchester. Ich stelle mir während des Komponierens oft vor, was die Physik mit den Klängen macht, wenn sie im Zuschauerraum ankommen. Ich will verbinden. Versuche Inseln zu schaffen. Es ist egal, ob die Tonsprache tonal oder atonal ist. Nicht jeder musikalische Gedanke ist nur „gelb“. Wenn ich das Orchester „auffächere“ und polyphon durch ein „Nadelöhr“ schiebe, spüre ich jedes Mal, wenn ich im Publikum sitze, wie es hinter und neben mir knistert. Aber man weiß nie, ob man jemanden erreicht oder nicht.
Dann kamen Aufträge für internationale Filmprojekte, zuletzt „Das große Welttheater“ bei den Salzburger Festspielen. Ist dazu Ihr schalldichtes Studio mit modernster Elektronik eigentlich Voraussetzung?
Ich bin diesbezüglich ein altmodischer Komponist. Ich schreibe Noten. Erst wenn ein Projekt danach verlangt, denke ich über Sounds nach. Dass ich ein schalldichtes Studio besitze, ist eher Selbstschutz. Ich kann Tag und Nacht arbeiten, ohne jemanden zu stören, werde im Gegenzug aber auch nicht gestört. Mein Studio ist eine Welt in der Welt.
Und eine Oper? Wäre das nicht die logische Fortsetzung Ihrer Filmarbeit?
Eine Oper ist etwas, was ich unbedingt verwirklichen will. „Reingeschnuppert“ in dieses Genre habe ich schon mit „Gefährliche Liebschaften“ (2013) und „Das große Welttheater“ (2014), beide für das Landestheater. Voraussetzung ist ein großartiger Stoff, der in sich schon vieles kann. Als Zuhörer einer guten Oper erahnt man Plätze in der eigenen Seele, die ganz verborgen sind. Musik in der Oper kann das.
Kommende Woche gibt es von der Sinfonietta Vorarlberg ein Porträtkonzert mit Ihren Werken – wie wird das ablaufen?
Es wird eine abendfüllende musikalische Reise zu hören sein. Mit Tangomusik des Auftragswerks „imagenes vivas“, ursprünglich ein kammermusikalisches Sextett. Ich habe es für diese Aufführung umgeschrieben für Orchester und Solisten. Oder zwei Suiten aus Filmen. Da Filmmusik überhaupt „keine“ Konzertmusik ist – sie illustriert Bewegungen, evoziert Zeit, ist Teil einer Bild-Dialog-Informations-Gruppe – wird das sicher lustig. Den Abschluss bildet das Akkordeonkonzert „Leptir“ (serbisch für „Schmetterling“), komponiert für den großartigen Goran Kovacevic. Das Luftinstrument Akkordeon „singt“ über die absolut beeindruckende Reise des Schmetterlings – jedes Jahr für die Tiere ein 5000 Kilometer langer Weg. Bis heute unerklärlich für Wissenschaftler. Über Gebirge, durch Winde und Stürme, um zu überwintern und der nächsten Generation das Fortbestehen zu sichern. Ihre Lebenserwartung liegt eigentlich bei etwa einem Monat, aber wenn sie wandern, leben sie acht bis zehn Monate lang. Das musikalische Material besteht aus seidigen Klängen, ein Atmen und Ringen, das sich durch die ganze Instrumentierung zieht, rückwärts laufender Musik, Tänzen mit der Sonne, komponierten Windspielen, die einzigartige Schönheit der Tiere und den ewigen Kampf ums Überleben in sich vereint. Interview von Fritz Jurmann